Interview

 

Jürgen Seul und Prof. Dr. Albrecht Götz von Olsenhusen

im Rahmen der 100-Jahr-Feier des Karl-May-Verlags

in Bamberg im Juli 2013. (Bildquelle: Karl-May-Verlag) 

Der seltsame Fall des Rudolf Lebius

 

Ein Interview aus Anlass der Neuerscheinung „Die Akte Rudolf Lebius. Auf den Spuren eines Skandaljournalisten zwischen Kaiserzeit und Drittem Reich“ von Jürgen Seul (416 Seiten, 95 S/W-Abbildungen, Hardcover, € 29,90) im Karl-May-Verlag.

Das Interview führte Prof. Dr. Albrecht Götz von Olenhusen mit dem Autor.

Götz von Olenhusen (GvO): Du hast in Deiner Biografie über Rudolf Lebius, den erklärten Feind, lebenslangen und erbittertsten Gegenspieler von Karl May auch seinen Lebens- und Berufsweg als politischen Journalisten erforscht. Was hat Dich an dieser pathologisch präformierten Figur des Wilhelminismus und der Weimarer Zeit so gefesselt?

Seul (JS): Rudolf Lebius ist einfach eine hochinteressante Persönlichkeit. Es war für mich erstaunlich, wie jemand mit einem derart marktschreierischen Fake-news-Journalismus und einer solchen Rücksichtlosigkeit zeitweise so viel Gehör finden konnte. Politisch betrachtet ist er zudem ein Kind seiner Zeit und man ahnt beim Lesen seiner Artikel (deren Kerninhalte in der Weimarer Zeit auch von vielen anderen vertreten wurden), auf welche Katastrophe die Gesellschaft zusteuern musste.

GvO: Als Renegat der SPD-Presse wechselt Lebius um die Jahrhundertwende zur Unternehmerseite, arbeitet als Exponent der Gelben Gewerkschaften als Streikbrecher, als chauvinistischer Völkischer und Antisemit. Wie kann man solche Wendungen und Windungen erklären?

JS: Zu den wesentlichen Charakterzügen von Lebius gehörten seine Geltungssucht und sein Opportunismus. Diese fatale Mischung machte ihn zu einem Mann ohne wirkliche Moral und Haltung. Für jemanden wie ihn war es im Grunde gleichgültig, welcher Sache er sich verschrieb: Die Hauptsache war immer, dass er selber im Mittelpunkt stehen konnte. Seine Aussage gegenüber Karl May, die dieser oft zitierte, lautete nicht umsonst: „Wer am meisten zahlt, der hat uns!“ Lebius wechselte seine Position stets dann, wenn die bisherige seinem Ego widersprach oder nicht lukrativ genug war.  

GvO: Auch die psychologisch schwer erklärliche Hetzjagd gegen Karl May, als investigativer Journalist, der nie vor der Verbreitung von heute würde man sagen Hate Speech und Lügenpresse zurückschreckte, jahrelange ist ja ein Novum und einzigartig. Gibt es irgendeine plausible Motivation für diese obsessive Feindschaft?

JS: Ein wesentlicher Aspekt scheint mir darin zu liegen, dass sich May seinerseits mit großer Intensität gegen Lebius zur Wehr setzte. Je mehr Lebius gegen May hetzte, desto heftiger griff dieser wiederum den Angreifer an. Lebius sah sich als ehrlicher und objektiver Volksaufklärer. May demaskierte fortwährend diese Rolle, was einen Mann mit einer solch sich selbst überschätzenden Persönlichkeit wie Rudolf Lebius zutiefst beleidigte und zu Racheaktionen veranlasste.

GvO: War Lebius sozusagen „Einzeltäter“ oder lässt er sich in einem Kontext sehen mit anderen Protagonisten der Rechten in der Weimarer Republik? Die zum Terror von rechts, zu Mord und Totschlag aufriefen, zu Fememorden und Attentaten auf Linke, auf jüdische Politiker und Gelehrte?

JS: Lebius war kein Teamplayer, niemand, der sich in eine Gruppe einordnen ließ. Versuche dieser Art – wie z.B. seine Mitgliedschaft im nationalistischen „Alldeutschen Verband“ – scheiterten stets. Von daher kann man ihn durchaus als „Einzeltäter“ betrachten. Aber er lässt sich natürlich mit seinem Nationalismus, seinem Antisemitismus und Rassismus mühelos in die Phalanx ähnlich denkender Institutionen (z.B. die Organisation Consul) oder Personen (wie z. B. die Rathenau-oder Harden-Attentäter) einordnen. Lebius besaß zudem eine große geistige Nähe zu Hitler, den er zeitweise sehr bewunderte. Beide unterschied, dass Lebius – aus welchen Gründen auch immer – nie den Graben zur rechtsextremistischen Tat überschritt wie sein „Bruder im Geiste“ aus Braunau. Er blieb stattdessen stets „nur“ der Hetzer.

GvO: Würdest Du Lebius als einen Soziopathen, als einen pathologischen Charakter einstufen oder war eine Art psychisch gestörter Widerspruchsgeist, der in seiner Radikalität immer irgendwie als Quasi-Oppositioneller versuchte, im rechten Zeitgeist Fuß zu fassen, aber letztlich immer überall scheiterte ?

JS: Ich würde einmal folgende Hypothese aufstellen: Hätte ihm Joseph Goebbels einen hohen Posten im Propagandaministerium angeboten, hätte er diesen vermutlich genauso mit Feuereifer ergriffen als wenn ihm die Attentäter des 20. Juli nach einem erfolgreichen Hitler-Attentat eine entsprechende Stelle in der Öffentlichkeitsarbeit offeriert hätten. Lebius kam es offenbar nie auf die Sache selber an. Im Mittelpunkt seines Lebens und Strebens – um es einmal mit Karl May zu formulieren – stand stets seine persönliche Geltung in der Öffentlichkeit. Lebius war ein geltungssüchtiger Narzisst wie er im Buche steht, der mit jedem sofort stritt, der ihm in seiner Geltungssucht in die Quere kam. Und das waren nicht wenige.

GvO: Was hättest Du Karl May als Rechtsanwalt im Umgang mit Lebius geraten?

JS: Mit Menschen wie Lebius kann man sich nicht konstruktiv auseinandersetzen. Auch juristische Siege – wie das Moabiter Urteil vom 18.12.1911 – sind Pyrrhussiege, die nur Zeit, Geld und Nerven kosten. Als Rechtsanwalt hätte ich May dringend davon abgeraten, sich auf Lebius einzulassen, mit ihm zahllose Prozesse zu führen und die Presse als öffentliche Streitplattform zu benutzen.

 

Quelle: Albrecht Götz von Olenhusen und Jürgen Seul:
Der seltsame Fall des Rudolf Lebius. Ein Interview in:
KMG-Nachrichten, 2019, Nr. 201, S. 42 bis 43.